Die Kraft unserer Worte: 4 Schritte zu einer einfühlsamen Kommunikation

Lesedauer: 8 min

Gewaltfreie Kommunikation Rosenberg

Wer kennt die Situation nicht, in der wir uns von anderen (PartnerIn, Kind, KollegenInnen, etc.) verletzt fühlen und uns gepackt von Emotionen zu unüberlegten Worten und Handlungen hinreißen lassen. Die Fronten verhärten sich und - entgegen unserer eigentlichen Absicht - wird es immer schwieriger, aus der emotionsgeladenen Dynamik auszusteigen und das Thema in Frieden zu klären.


Zu Beginn lade ich Sie zu einer kurzen Übung ein. Stellen Sie sich vor, eine Ihnen nahe stehende Person sagt folgende Worte zu Ihnen: "Mir ist aufgefallen, dass du sehr aufmerksam zuhörst, wenn ich dir etwas erzähle. Das ist nicht selbstverständlich und ich schätze es sehr an dir". Versetzen Sie sich nun in die Lage, dass diesselbe Person zu Ihnen spricht: "Du bist immer so unzuverlässig, das ist furchtbar! Nie kann ich mich auf dich verlassen!"

 

Was empfinden Sie bei den unterschiedlichen Aussagen? Als ich diese Frage bei einem Vortrag zu diesem Thema stellte, brachte es eine Teilnehmerin rasch auf den Punkt: Wenn wir Vorwürfe oder negative Kritik hören, machen wir innerlich zu, verschließen uns unserem Gegenüber. Wir reagieren mit Gegenangriff, Verteidigung oder Rückzug. Ein konstruktives Gespräch ist kaum mehr möglich.

 

Bei positiven Worten hingegen geschieht das Gegenteil: wir öffnen uns innerlich in unserer Beziehung zu der Person. Die Wahrscheinlichkeit, ein gutes, konstruktives Gespräch zu führen, ist hoch.

In der einfühlsamen Kommunikation geht es darum, in guten Kontakt mit sich selbst zu sein, sich ehrlich auszudrücken und mit gleicher Offenheit und Wertschätzung dem anderen zu begegnen.


Können wir auch zu einem offenen und wertschätzenden Umgang gelangen, wenn es um schwierige Themen geht? Die Antwort lautet: Ja! Kommunikation ist eine Fähigkeit, die jeder lernen kann. Die 4 Schritte der gewaltfreien bzw. einfühlsamen Kommunikation, die von Marshall Rosenberg, einem amerikanischen Psychologen, entwickelt wurden, sind dabei äußerst hilfreich. Aufgrund der zahlreichen Erfolge wird dieses Konzept heute weltweit in Familien, Schulen, Firmen, bei geschäftlichen Verhandlungen sowie in der Politik eingesetzt.

Im Folgenden erläutere ich die 4 Punkte der einfühlsamen Kommunikation. Ich lade Sie herzlich ein, die für Sie vorbereiteten Infoblätter herunterzuladen, die Sie dabei unterstützen werden.

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Beobachten Sie die Verhaltensweise ohne Bewertung


Oft neigen wir dazu, die Handlungen, die uns an anderen stören und unser eigenes Wohlbefinden beeinträchtigen, zu bewerten (bzw. abzuwerten) und zu interpretieren. Dadurch fühlt sich das Gegenüber kritisiert und ein konstruktives Gespräch ist kaum mehr möglich.

 

Der 1. Schritt der einfühlsamen Kommunikation besteht nun darin, Ihre Beobachtung von Ihrer Beurteilung bzw. Bewertung zu trennen. Beziehen Sie sich auf eine einzelne konkrete Situation und beschreiben Sie, was tatsächlich geschehen ist. Was war beobachtbar? Was haben Sie gehört und gesehen?

 

Verzichten Sie bewusst auf eine Interpretation der Verhaltensweisen Ihres Gegenübers.

 

Beispiel:

Vorher: "Du hörst mir nie zu - meine Probleme sind dir komplett egal!"

Stattdessen: "Während ich dir gestern von dem Vorfall mit unserem Sohn erzählt habe, hast du den Fernseher eingeschalten, um die Nachrichten zu sehen."

Nehmen Sie das Gefühl wahr, welches durch diese Verhaltensweise in Ihnen ausgelöst wird


Im 2. Schritt nehmen Sie nun wahr, was Sie fühlen, wenn Sie eine bestimmte Handlung beim anderen beobachten.

Nehmen Sie Ihre Gefühle klar und deutlich wahr, um diese schließlich auch Ihrem Gegenüber in einer Ich-Botschaft zu kommunizieren.

 

Viele Menschen sind es nicht gewohnt oder haben es vielleicht nie gelernt, ihre Gefühle differenziert wahrzunehmen und auszudrücken. Werden sie gefragt, wie es ihnen geht, antworten sie bloß mit "gut" oder "schlecht". Aus diesem Grund stelle ich Ihnen im Downlod eine Liste mit einer Vielzahl an möglichen Gefühlen zur Verfügung. Diese kann dabei unterstützen, das genau passende Gefühl für eine konkrete Situation zu finden.

 

Wichtig dabei ist es, darauf zu achten, dass es sich tatsächlich um ein echtes Gefühl, nicht um eine Bewertung handelt. Manchmal sprechen wir das Wort fühlen aus, ohne damit wirklich ein Gefühl auszudrücken. In Wahrheit sind dies Gedanken, die eine Bewertung beinhalten. In (Konflikt-) Gesprächen wird dies leicht als Kritik aufgefasst und sollte vermieden werden.

 

Beispiele für Nicht-Gefühle

„Ich fühle mich wie ein Versager.“

„Ich fühle mich, als ob ich mit einer Wand zusammenleben würde.“

„Ich habe das Gefühl, ich bin immer zur Stelle.“

 

Echte Gefühle

Umgekehrt ist es nicht einmal nötig, das Wort fühlen auszusprechen, wenn wir wirklich ein Gefühl ausdrücken wollen:

Wir können sagen: "Ich fühle mich traurig." oder "Ich bin traurig."

 

Beispiel:

Vorher: "Ich habe das Gefühl, ich rede mit einer Wand!"

Stattdessen: "Ich war so verärgert und wütend."

 


Verknüpfen Sie Ihr Gefühl mit Ihrem dahinterliegenden Bedürfnis


In meiner Arbeit zeigt sich immer wieder, dass der Zusammenhang von Gefühlen und Bedürfnissen vielen Menschen kaum bekannt ist. Richten wir den Fokus auf das zugrundeliegende (unerfüllte) Bedürfnis, werden schmerzhafte Gefühle rasch verständlich. Daher ist es wichtig zu verstehen: An der Wurzel unserer Gefühle liegt ein erfülltes bzw. unerfülltes Bedürfnis. M. Rosenberg war überzeugt, dass alle Menschen grundsätzlich die gleichen Bedürfnisse haben, unabhängig von Nationalität, Religion, Geschlecht, Einkommen, Bildung, etc.

 

In diesem 3. Schritt nehmen Sie Ihr Bedürfnis hinter Ihrem Gefühl wahr und verknüpfen die beiden miteinander. Auf diese Weise sind Sie aufrichtig zu sich selbst und drücken auch dem anderen gegenüber klar und ehrlich aus, wie es Ihnen gerade geht.

 

Beispiel:

Vorher: Schuldzuweisung und Kritik

Stattdessen: "Ich war so verärgert und wütend, weil es mir in diesem Moment wichtig war, mich mit dir über unseren Sohn auszutauschen und gemeinsam nach einer Lösung zu suchen."

 

Mit diesem neuen Verständnis wird nun klar: Was andere sagen oder tun mag ein Auslöser für unsere Gefühle sein, ist aber nie ihre Ursache. Unsere Gefühle entstehen aus unseren jeweiligen erfüllten oder unerfüllten Bedürfnissen und Erwartungen in der aktuellen Situation.

 

Die meisten von uns haben nie gelernt, in Begriffen von Bedürfnissen zu denken. Wenn sich unsere Bedürfnisse nicht erfüllen, dann denken wir automatisch darüber nach, was andere Menschen falsch gemacht haben. Meist sind wir viel geübter darin, die vermuteten Fehler anderer zu analysieren, als klar und deutlich unsere eigenen Bedürfnisse auszudrücken. M. Rosenberg machte  immer wieder die Erfahrung, dass in dem Moment, in dem Menschen anfangen, über das zu sprechen, was sie brauchen, statt darüber, was mit dem anderen nicht stimmt, die Wahrscheinlichkeit, einen Weg zur Erfüllung der Bedürfnisse aller Beteiligten zu finden, deutlich ansteigt.

 

So findet sich zum Beispiel auch im Kern jeden Ärgers ein Bedürfnis, das nicht erfüllt ist. Um Ärger im Sinne der einfühlsamen Kommunikation vollständig auszudrücken, brauchen wir ein klares Bild unseres Bedürfnisses. Dabei hilft es uns, den Satz „Ich bin wütend, weil er …“  ersetzen durch „Ich bin wütend, weil ich … brauche“.

 

Eine Liste der menschlichen Bedürfnisse, die Sie unterstützend heranziehen können, befindet sich im Download.

Formulieren Sie eine konkrete Bitte


Was kann der andere konkret tun, um Ihre Lebensqualität zu verbessern? Oft ist es uns gar nicht bewusst, worum wir bitten, sondern wir wissen vielmehr, was wir nicht wollen. Wie können Sie nun Ihre Bitte so formulieren, dass bei Ihrem Gegenüber die Bereitschaft steigt, einfühlsam auf Ihre Bedürfnisse zu reagieren?

 

Je klarer Sie wissen, was Sie vom anderen möchten, desto wahrscheinlicher ist es, dass Ihre Bedürfnisse erfüllt werden. Das kann einfach ein einfühlsamer Kontakt sein oder eine Bestätigung, dass Sie verstanden wurden. Oder Sie bitten vielleicht um Aufrichtigkeit: Sie möchten die ehrliche Reaktion des Zuhörers auf Ihre Worte erfahren. Oder Sie bitten um eine konkrete Handlung, von der Sie denken, dass sie Ihre Bedürfnisse erfüllt.

 

Es kann herausfordernd sein, klare Bitten zu formulieren. Aber wie schwer ist es dann für andere, auf unsere Bitten zu reagieren, wenn uns selbst nicht einmal klar ist, was wir wollen?

 

Was Sie bei der Formulierung einer Bitte beachten sollten

 

Sagen Sie, was Sie möchten anstatt was sie nicht möchten

Vorher: "Bitte machen Sie nicht zu lange Mittagspause."

Nachher: "Ich möchte Sie bitten, um 13:00 Uhr wieder im Büro zu sein, in Ordnung?"

 

Beschreiben Sie konkretes, beobachtbares Verhalten anstatt vage und abstrakt zu bleiben

Vorher: "Sei bitte rücksichtsvoll."

Nachher: "Kannst du bitte an die Tür klopfen, bevor du in mein Zimmer kommst."

 

Achten Sie darauf, dass der Erfolg Ihrer Bitte jetzt und hier überprüfbar ist

Vorher: "Versprich mir, dass sich deine Leistungen in Mathe bis zum nächsten Zeugnis verbessern."

Nachher: "Ich möchte jetzt mit dir darüber sprechen, wie ich dich unterstützen kann, damit du in Mathe eine Note besser wirst. Was wäre das für dich?"

 

Drei Arten von Bitten

 

Nachdem Sie sich offen ausgedrückt haben, möchten Sie vielleicht gerne wissen

  • was der Zuhörer dabei empfindet
  • was er darüber denkt oder
  • ob er bereit ist, etwas Bestimmtes zu tun

Beispiel:

Vorher: "Ich will, dass du mir zuhörst, wenn ich mit dir rede!"

Stattdessen: "Können wir bitte einen konkreten Zeitpunkt vereinbaren, wann wir in Ruhe gemeinsam über den Vorfall mit unserem Sohn reden können?"

 

 

Gemeinsam auf der Suche nach kreativen Lösungen

 

Wenn Sie mithilfe dieser 4 Schritte ein schwieriges Thema offen und ehrlich angesprochen haben, ist es nun genauso wichtig, auf Ihr Gegenüber und seine Sichtweisen, Gefühle, Bedürfnisse und Bitten einzugehen. Die gewaltfreie Kommunikation ist nicht als Werkzeug gedacht, um andere zu etwas zu bringen oder seinen eigenen Willen durchzusetzen. Dies führt langfristig nicht zum Ziel. Entscheidend für den Erfolg ist unsere Herzenshaltung, nämlich der Wunsch, einen wertschätzenden Kontakt auf Augenhöhe zu haben und kreativ nach Lösungen zu suchen, die für alle Beteiligten passend sind.

 

Die 4 Schritte sind ein Hilfsmittel - und darin besteht das Ziel der GFK -  Beziehungen aufzubauen, die auf Offenheit und Einfühlsamkeit basieren, sodass sich über kurz oder lang die Bedürfnisse eines jeden einzelnen erfüllen.

Man kann ohne Liebe Holz hacken, Ziegel bauen, Eisen schmieden,

aber man kann nicht ohne Liebe mit Menschen umgehen.

Tolstoi


Ich wünsche Ihnen von Herzen viel Erfolg bei der Umsetzung und eine gelingende Kommunikation!

 

Ihre

Quelle: Inhaltlich entnommen und ergänzt aus Rosenberg, M. (2001), Gewaltfreie Kommunikation, eine Sprache des Lebens, 12. Aufl. (2016), Junfermann Verlag

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