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Gerade in der aktuellen Zeit der Corona-Krise machen uns die zahlreichen von außen auferlegten Einschränk-ungen zu schaffen. Soziale Isolation, Einsamkeit, Anstieg psychischer Belastungen und fehlende ausgleichende Angebote sind nur einige der Auswirkungen. Viele sind existenziell bedroht - durch Krankheit, Kündigung oder den Verlust eines geliebten Angehörigen. Ohnmacht, Überforderung und Ängste machen sich breit.
Vom Opfer zum Gestalter - ist das angesichts der aktuellen Situation überhaupt möglich?
In diesem Artikel erfahren Sie, wie dies mit Hilfe des logotherapeutischen Gedankenguts nach Viktor Frankl ganz konkret in jeder Situation gelingen kann.
Zu Beginn lade ich Sie ein, mit mir einen kurzen Blick auf drei Persönlichkeiten zu werfen, die die menschliche gestalterische Fähigkeit unter äußerst schwierigen, schicksalhaften Bedingungen beeindruckend unter Beweis stellten:
Viktor E. Frankl
war Psychiater und Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse. Er überlebte die Schrecken von vier Konzentrationslagern und verlor seine Ehefrau und beinahe gesamte Familie. Seine feste Überzeugung, dass sein Leben trotz allem Leid einen Sinn habe, gab ihm die innere Stärke, dennoch Ja zum Leben zu sagen.
Samuel Koch
ist seit seiner schweren Verletzung in der Fernsehshow "Wetten, dass... ?" gelähmt. Heute ist er verheiratet, Schauspieler, Redner und Autor. Wie es gelingen kann, nach solch einem schweren Schicksalsschlag wieder `aufzustehen´ und das Leben aktiv zu gestalten, beschreibt er eindrucksvoll in seinem Buch "StehAufMensch!"
Nick Vujicic
wurde aufgrund eines seltenes Gendeffekts ohne Arme und Beine geboren und litt lange Zeit unter Depressionen. Dies änderte sich, als er begann, seine Behinderung
als Herausforderung zu sehen. Heute ist er ein bekannter Motivationsredner, verheiratet und Familienvater und bringt vielen Menschen Hoffnung und Lebensmut.
Wie genau gelang es ihnen, trotz ihres Schicksals Gestalter ihres Lebens zu bleiben?
Frankl war der Ansicht, dass jeder Mensch mit den an ihn persönlich gerichteten Schicksalsfragen sinnorientiert umgehen kann und in der Lage ist, sich nicht vollkommen von ihnen bestimmen zu lassen. Mit seinen PatientInnen ging er nicht der Frage nach: "Warum passiert das gerade mir?", welche sie nur noch mehr in eine Opferhaltung gedrängt hätte. Stattdessen stellte er ihnen die Frage: "Wozu fordert Sie diese Situation nun heraus?". Auf diese Weise lenkte er den Fokus von dem unabänderlichen, schicksalhaften Bereich hin zum - wenn auch vielleicht noch so kleinen - zur Verfügung stehenden Freiraum, in den der Mensch gestaltend hineinwirken kann. Sogar wenn er nicht mehr in der Lage sei, bestimmte Handlungsmöglichkeit zu setzen, stehe es ihm immer noch frei, welche Haltung und persönliche Stellungnahme er zu seinem Schicksal wähle.
Wenn wir diesen Schritt - den Wechsel unserer Blickrichtung - vollziehen, entdecken wir, dass sich plötzlich neue Perspektiven und Möglichkeiten eröffnen, unser Leben (trotz allem) zu gestalten und Herausforderungen zu meistern.
Das Geheimnis des Gestalters besteht darin,
dass sein Fokus stets auf dem ihn zur Verfügung stehenden Freiraum liegt.
Unser Gestaltungspotenzial entdecken - 5 Schritte nach Elisabeth Lukas
In diesem Sinne entwickelte Frankls prominenteste Schülerin und Logotherapeutin Dr. Elisabeth Lukas fünf Fragen, um neben den unveränderbaren, leidvollen Gegebenheiten den eigenen Freiraum zu entdecken, die beste Handlungs- oder Haltungsalternative auszuwählen und dadurch das Schicksal sinnorientiert und aktiv mitzugestalten. Im Folgenden erläutere ich diese Schritte näher.
Ich lade Sie herzlich ein, das für Sie vorbereitete Infoblatt herunterzuladen, welches Sie dabei unterstützen wird, in Ihrem persönlichen konkreten Anliegen wieder die Gestalterrolle zurück zu erobern.
Was ist mein Problem?
Im ersten Schritt geht es darum, das aktuelle Problem und seine unveränderbaren Bedingungen klar zu beschreiben. Dazu zählt zum Beispiel die eigene Lebensgeschichte, unsere biologischen, psychischen und soziologischen Bedingungen oder bestimmte äußere Umstände (Kündigung, finanzielle Einbußen, Beziehungsschwierigkeiten, etc.). Dieser im Moment schicksalhafte Bereich lässt sich nicht verändern - er ist, wie er ist: ein Faktum, unsere gegenwärtige Lage.
Aus der Resilienzforschung wissen wir, dass die Akzeptanz, unsere innere Zustimmung des Unabänderlichen - so schmerzhaft diese auch zunächst sein kann - ein wesentlicher Faktor für unser psychisches Wohlbefinden ist. Erst wenn wir die Situation so annehmen, wie sie im Moment ist, fließt uns wieder die Kraft zu, die wir für eine aktive Mitgestaltung nutzen können.
Benennen Sie nun die Problemsituation, unter der Sie aktuell leiden, ganz konkret.
Wo liegt mein Freiraum?
Neben all den schicksalhaften Gegebenheiten gibt es in jeder Lebenssituation in der Gegenwart auch einen persönlichen Freiraum. Dieser umfasst unsere Handlungen und inneren Haltungen. Entscheidend für unser Leben ist es, wie wir in der Gegenwart zu unserem Schicksal Stellung nehmen. Schwierige Lebensumstände werden uns vorgesetzt - doch wie wollen wir auf diese spezifischen, an uns gerichteten Lebensfragen antworten? Unsere Antwort darauf können wir wählen - sie liegt in unserem ganz persönlichen Freiraum.
Daher sind wir nicht bloß Opfer der Umstände, sondern verfügen ebenso über ein Maß an Gestaltungspotenzial, unser Leben zu formen. Dies sehen wir immer wieder an Menschen, die ähnliche Schwierigkeiten oder Traumata durchleben mussten, jedoch in ganz unterschiedlicher Weise darauf reagierten.
Mein Körper ist gelähmt, mein Geist ist es nicht.
Samuel Koch
Welche Wahlmöglichkeiten habe ich?
In diesem Schritt lade ich Sie zu einem Brainstorming ein: Welche Gestaltungsmöglichkeiten können Sie entdecken? Sammeln Sie diese zunächst ohne Wertung. Oft ist es hilfreich, sich dafür eine Zeit der Stille zu nehmen, um in Ruhe kreative Wege zu finden.
Zur Veranschaulichung der gefundenen Alternativen weist Elisabeth Lukas als Sinnbild auf einen Sternenhimmel hin: auf diesem gibt es große und kleine, besonders
stark und weniger stark leuchtende Sterne, welche unseren verschiedenen Möglichkeiten entsprechen.
Welche Möglichkeit davon ist die sinnvollste?
Wenn Sie nun die einzelnen Möglichkeiten genauer unter die Lupe nehmen, werden Sie rasch erkennen, dass nicht alle gleichwertig nebeneinanderstehen. Manche werden Sie gleich verwerfen, andere kommen in die engerer Auswahl.
Die sinnvollste Option ist aus Sicht der Logotherapie jene, welche vor dem eigenen Gewissen die gesollte und bestmögliche in einer konkreten Situation für die eigene Person und alle Beteiligten ist.
"Sinnvoll ist, was wir selbst tief im Herzen als ´richtig´
erspüren, weil es der besten und schönsten Möglichkeit unter allen
Abb.: Schechner, J. & Zürner, H. (2011), Krisen bewältigen: Viktor E. Frankls 10 Thesen in der Praxis, 3. Aufl., S. 98, Verlag: braumüller
Möglichkeiten entspricht, die wir gerade zur Verfügung haben. Eine Möglichkeit, die es wert ist, verwirklicht zu werden.
Und die vielleicht niemand anderer genauso verwirklichen kann wie wir, weshalb sie uns und niemand anderem aufgegeben ist."
(E. Lukas)
Hilfreiche Fragen zur Entdeckung der sinnvollsten Option:
- Was soll jetzt von mir gelebt werden? Welchen Wert möchte ich in dieser Situation leben?
- Gibt es ein Vorbild für mich, das eine ähnliche Krise meisterhaft löste? Welche Persönlichkeit möchte ich sein?
- Wie möchte ich in 5 Jahren rückblickend in der jetzigen Situation gehandelt, entschieden haben?
Suchen Sie aus der Zahl der Möglichkeiten jene aus, welche die Beste und Schönste für Sie und Ihr Umfeld ist. Damit geben Sie die bestmögliche Antwort auf Ihre spezifische Lebensfrage.
Die Entscheidung treffen: Ja, diese eine Möglichkeit will ich verwirklichen!
Nachdem Sie die sinnvollste aller Alternativen gefunden haben, ist es nun von großer Bedeutung, eine bewusste Entscheidung für diese zu treffen: Ja, diese eine will ich verwirklichen! Ein fester Beschluss gibt uns enorme Kraft für die Umsetzung und Überwindung innerer und äußerer Widerstände.
Auf diese Weise bleiben wir - trotz widriger Umstände - Mitgestalter unseres Lebens. Die Handlung oder Haltung, die wir heute verwirklichen, wird schon morgen zu unserem Schicksal geronnen sein. Wir schreiben eigenständig ein Stück Lebensgeschichte in unseren persönlichen Schicksalsraum.
Der Mensch ist nicht Opfer, sondern Mitgestalter seines Lebens.
Viktor Frankl
Zur Beschreibung des Gestaltungspotenzials des Menschen zieht Elisabeth Lukas das Gleichnis eines Baumeisters und seines Umgangs mit Baumaterial heran. Das Baumaterial des Menschen entspricht dem, was er im Laufe seines Lebens ´mitbekommt´ (z.B.: Genetik, soziale Einflüsse, Schicksalsschläge, etc.) - dieses kann besser oder schlechter sein. Der Mensch ist jedoch nicht nur sein Material, sondern er ist gleichzeitig auch Baumeister. Als Person ist er nun eingeladen, mit diesem ihm gegebenen Material sein Lebensgebäude zu bauen. Dabei verfügt er über gewisse Spielräume: so kann ein geschickter Baumeister sogar aus schlechtem Baumaterial etwas wunderschönes bauen - während ein Baumeister, der sein Potenzial brach liegen lässt und nicht nützt, zu einem weit weniger positiven Lebensentwurf gelangt.
Ich wünsche Ihnen viel Inspiration bei der Entdeckung neuer, sinnvoller Möglichkeiten und Mut und Vertrauen für die Verwirklichung der einen schönsten und besten für Sie und Ihr Umfeld!
Ihre
Quelle: In Anlehnung an Schechner, J. & Zürner, H. (2011), Krisen bewältigen: Viktor E. Frankls 10 Thesen in der Praxis, 3. Aufl. (2016), Verlag: braumüller
Bildernachweis: Viktor Frankl: https://www.franklzentrum.org/zentrum/viktor-frankl-leben-und-lehre.html; Samuel Koch: https://www.kirche-und-leben.de/artikel/warum-samuel-koch-immer-noch-an-den-lieben-gott-glaubt/; Nick Vujicic: https://www.youtube.com/watch?v=7JBGDdtm7i8
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