Therapeutisches Schreiben - Methode zur Hilfe bei seelischen Belastungen

Mag. Ursula Berghofer, Psychologin in Bad Vöslau, Baden

Durch zahlreiche Studien wissen wir heute, dass es für unsere emotionale und körperliche Gesundheit von großer Bedeutung ist, problematische Erlebnisse und belastende Gefühle emotional zu verarbeiten und in unsere Lebensgeschichte zu integrieren. Therapeutisches Schreiben bietet dafür eine effektive und leicht umsetzbare Möglichkeit, schwierige Themen aufzuarbeiten und wieder mit mehr Lebensfreude und Zufriedenheit unser Leben gestalten zu können.


Was ist eine Schreibtherapie?

Die Schreibtherapie geht auf den amerikanischen Psychologie-Professor James W. Pennebaker (*1950) zurück, der die Methode der schriftlichen Erzählung als eine großartige Unterstützung entdeckte, um problematische Erlebnisse, Gefühle und Verhaltensweisen zu verarbeiten, zu verstehen und zu überwinden. Pennebaker beschäftigt sich schwerpunktmäßig u. a. mit psychosomatischen Erkrankungen, traumatischen Erlebnissen und Stress. In seinen Forschungsarbeiten fand er heraus, dass sich das Zurückhalten wichtiger Emotionen und Gedanken in unverarbeiteter Form auf Dauer nicht nur auf die psychische, sondern auch auf die körperliche Gesundheit schädlich auswirkt. Da es einigen Menschen schwerfällt, sich in mündlicher Form zu entlasten, kann es hilfreich sein, sich in schriftlicher Form zu äußern. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse entwickelte er die Methode des expressiven Schreibens, ähnliche Begriffe dafür sind auch kreatives, therapeutisches oder (auto-) biographisches Schreiben.

 

Unverarbeitete Ereignisse bewirken, dass wir oft "wortlose Geschichten" in uns tragen, die wir kaum fassen, benennen und richtig einordnen können. Die Schreibtherapie ist eine Möglichkeit, unsere Gedanken und Gefühle wahrzunehmen, in Worte zu fassen und in schriftlicher Form zum Ausdruck zu bringen - was bereits einen wesentlichen Teil der Verarbeitung darstellt. Sie ist eine bestimmte Art und Weise, uns auf den Weg zu uns selbst zu begeben, unsere Wahrnehmungsfähigkeit zu schulen, Ereignisse, Gefühle und Gedanken in eine Sprache zu bringen und in Selbstreflexion und Selbsterkenntnis zu wachsen. Dieser Prozess kann sowohl als Hilfe zur Selbsthilfe eingesetzt wie auch mit therapeutischen Gesprächen begleitet werden.

Wirkungen & Vorteile des therapeutischen Schreibens

Die Schreibtherapie zeichnet sich besonders durch folgende Punkte aus:

  • Bei dieser Art des Schreibens geht es nicht um Leistung, die richtige Grammatik oder Rechtschreibung. Es handelt sich um eine leistungsfreie Zone, die es uns ermöglicht, ganz wir selbst zu sein und uns in großer Ehrlichkeit zu uns selbst in allen Bereichen unseres Seins entdecken können, z. B. unsere Ängste, Sorgen, Belastungen, Sehnsüchte, Wünsche, Träume, etc. Wir befinden uns in einem geschützen Raum - frei von der Bewertung und Beurteilung einer anderen Person.

  • Schreiben öffnet einen Raum sensibler Wahrnehmung. Durch bewusstes Hinspüren unserer inneren Regungen werden wir sensibel für Dinge, die für gewöhnlich eher vorbewusst ablaufen und uns durch die Ablenkungen des normalen Alltagslebens kaum bewusst werden. Auf diese Weise erlangen wir eine verbesserte Selbstwahrnehmung und nehmen auch innere Konflikte und Schwierigkeiten mit der sozialen Umwelt besser wahr.

 

...und jeder, der je geschrieben hat,

wird gefunden haben, dass Schreiben immer

etwas erweckt, was man vorher nicht deutlich

erkannte, ob es gleich in uns lag.

G. CH. LICHTENBERG

 


  • Schreiben schafft Selbstdistanzierung. Dies bedeutet, dass wir einen gesunden Abstand von uns selbst entwickeln und aus einer gewissen Distanz auf unsere Geschichte, Gedanken und Befindlichkeiten blicken können. Beim Lesen des entstandenen Textes verändert sich das Verhältnis des Schreibenden zum Gelesenen. Mit jedem Lesen kommt es zur Distanzierung gegenüber den eigenen Gedanken und Gefühlen und dadurch zu einem verbesserten und konstruktiven Umgang mit diesen.

  • Schreiben bietet die Chance, die eigene Lebensgeschichte immer besser zu verstehen und sie mit unserer heutigen Lebenserfahrung zu verbinden. Unsere Lebensgeschichte fügt sich zu einem Lebensroman, der persönliche Kontinuität und ein Gefühl der Identität ermöglicht.

Praktische Anleitung & häufige Fragen

Worüber soll ich schreiben?


Sie können im Sinne eines Lebensrückblicks chronologisch über biographische Erfahrungen schreiben oder einzelne schwierige und belastende Ereignisse, die Sie nach wie vor bewegen, herausnehmen. Ebenso können Sie auch aktuelle Themen, die Sie belasten und zu denen Sie sich mehr Klarheit wünschen, verschriftlichen. 

 

Schreiben Sie einfach darauf los - beginnen Sie zuerst mit einer objektiven Beschreibung der Situation oder des Ereignisses und fahren Sie anschließend mit all Ihren subjektiven Wahrnehmungen dazu fort: Ihre Gefühle, Gedanken, Bedürfnisse, Wünsche und alles, was in Ihnen hochkommt. Notieren Sie es ehrlich, offen und unzensiert. Lenken Sie Ihren Fokus bewusst auf Ihr Inneres, das Sie anschließend in Worten auf dem Papier zum Ausdruck bringen. Seien Sie ganz beim Thema und schreiben Sie in einem Stück, ohne über Stilfragen, Grammatik, Satzstruktur und Ähnliches nachzudenken. In diesem Prozess geht es um Sie - nicht um Ihre Leistung.

Wo soll ich schreiben?

Suchen Sie sich einen ruhigen Platz, an dem Sie sich sicher fühlen und sich in Ruhe zurückziehen können. Schalten Sie mögliche Störquellen wie z. B. Handy aus und vermeiden Sie alle Ablenkungen. Darüber hinaus bleibt es Ihnen überlassen, ob Sie die Schreibsitzung handschriftlich oder am Computer durchführen.

 

Wie oft und wie lange soll ich schreiben?

Wenn Sie ein komplexes, sehr belastendes Thema wählen, schreiben Sie an vier aufeinanderfolgenden Tagen zwischen 15 und maximal 30 Minuten lang darüber. Da dies ein intensiver Prozess ist, führen Sie anschließend eine (wenn auch nur kurz) angenehme Aktivität durch, die Sie bereits vorher geplant haben.

Bei aktuellen, eher eingegrenzten Themen hilft vielen Menschen bereits eine einmalige Schreibsitzung: sie bekommen rasch Klarheit über die Situation und ihre Handlungsmöglichkeiten und fühlen sich bereits durch das "von der Seele schreiben" von emotionalen Belastungen befreit.

 

Was soll ich mit dem Text machen, den ich geschrieben habe?

Manche möchten die Texte behalten, andere möchten Sie vernichten (z. B. verbrennen), wieder andere möchten Sie mit wichtigen Bezugspersonen oder ihren TherapeutInnen teilen. Diese Wahl bleibt ganz Ihnen überlassen.


Wenn ich sehr ungern schreibe - gibt es eine Alternative?

Als Ersatz ist es möglich, die Erfahrungen auf Band zu diktieren. Genauso wie beim Schreiben wird hier ebenso empfohlen, dies in einem Zeitraum von 15 bis max. 30 Minuten am Stück durchzuführen.

Anwendung & Grenzen des therapeutischen Schreibens

Der Anwendungsbereich der Schreibtherapie erstreckt sich von körperlichen und psychischen Leiden, (Lebens-) Krisen bis hin zu Vorbeugung und Psychohygiene.

 

Da es eine Methode ist, die sehr tief gehen kann und wir mit hoher Wahrscheinlichkeit immer wieder auch mit schmerzhaften Themen in Berührung kommen, verlangt es eine gewisse stabile seelische Verfassung, um mit dem möglichen Stress bei der Anwendung umgehen zu können.  Daher sollte diese Form bei sehr starken seelischen Belastungen wie zum Beispiel bei Erkrankungen aus dem psychotischen Formenkreis oder bei schweren Depressionen nicht angewendet werden. Besprechen Sie näheres dazu mit Ihrem/Ihrer PsychotherapeutIn.

Ich wünsche Ihnen auf diesem Weg viel persönlichen Gewinn, aufschlussreiche Erkenntnisse und eine Linderung emotionaler Schwierigkeiten, sodass Sie Ihr Leben wieder mit neuer Lebenskraft und -freude und größerer innerer Zufriedenheit gestalten können!

 

Herzlichst,

Quelle: In Anlehnung an Rabaioli-Fischer, B. (2015), Biographisches Arbeiten und Lebensrückblick in der Psychotherapie, Verlag: Hogrefe.

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